Die Kreisgrenze
Es war eine Folge des Kondominats zwischen bei den Ländern, dass man alle paar Schritte den Gesetzen eines anderen Landes unterworfen war; dass hier höchst merkwürdige Verhältnisse im Ort Burgau berichtet werden. Im Gasthof des Ortes, dem "Preußischen Hof", ging die preußisch-württembergische Grenze mitten durch die Wirtschaftsräume und zwar so, dass die Gaststube auf württembergischen, das Nebenzimmer aber auf preußischem Gebiet lag.
Als nach dem ersten Weltkrieg die Polizeistunde in den ländlichen Gemeinden Württem- bergs auf 23 Uhr, in Preußen aber auf 24 Uhr festgesetzt wurde, brauchte man nur, wenn der "Büttel" oder "Landjäger" zum "Abbieten" kam, sein Glas zu nehmen und einige Tische weiter zu rücken, so dass dem Gesetz Genüge getan war. Das war aber harmlos gegenüber anderen Verwicklungen: Eine solche ergab sich, als eine sonst brave, aber etwas leichtsinnige junge Burgauerin sich in der Fremde mit einem Liebhaber eingelassen hatte. Sie fand im elterlichen Haus keine Aufnahme und musste darum das Kind im Armenhaus zur Welt bringen.
Schließich wurde die Sache aber doch eingerenkt und der Bub wuchs mit der anderen Jugend im Ort auf, bis er in die militärpflichtigen Jahre kam. Da erhob sich die Frage nach der Staatsangehörigkeit und die hing vom Ort der Geburt ab. Nun ging die Landesgrenze aber ebenso wie im "Preußischen Hof" mitten durch das Armenhaus und kein Mensch konnte mit Sicherheit feststellen, ob die Geburt im preußischen oder württembergischen Teil erfolgt war.
So blieb nichts anderes übrig, als den jungen Mann für staatenlos zu erklären, was für ihn den Vorteil hatte, dass er vom Militär frei kam. Wurde ein Handwerksbursche von den Landjägern verfolgt, so musste er nur den Preußischen Hof erreichen und er war vor ihnen sicher. Die Landjäger mussten, um ihren Missetäter doch noch zu bekommen, nach Langenenslingen zum preußischen Kollegen telefonieren, der dann 12 km zurücklegen musste, um den Übeltäter festnehmen zu können.
Es galt übrigens in Burgau folgende Regel: Wenn man etwas angestellt habe und erwischt werde, soll man sich lieber auf preußischem als auf württembergischem Gebiet erwischen lassen. In Riedlingen oder in Ulm spreche man zwar schwäbisch, aber man strafe preußisch in Sigmaringen und Hechingen dagegen spreche man vor Gericht zwar preußisch, strafe aber schwäbisch, was dem ersteren vorzuziehen sei.
Eine Rauferei mit tödlichem Ausgang soll einmal vor dem "Preußischen Hof" in der Nähe der Kapelle stattgefunden haben. Die Beteiligten konnten nachher aber nicht mir Sicherheit aussagen, ob der Schlag, der zum Tod des Mannes geführt hatte, auf preußischem oder auf württembergischem Gebiet ausgeführt worden war. Die Angelegenheit wurde daher, um allen gerecht zu werden, zweimal verhandelt, einmal vor dem preußischen und zum anderen vor dem württembergischen Gericht.
Aber nicht nur damals, als das Gebiet durch zwei Landesgrenzen geteilt war, gab es solche Merkwürdigkeiten.
Josepha Loder, geb. 10.08.1922 war mit Leib und Seele Wirtin des "Preußischen Hofes".
Neben ihrer Familie trieb sie mit viel Idealismus die Land- und Gastwirtschaft um und versah mit Herzblut nebenher auch den Meßnerdienst (samt handgezogenem Glockengeläut) im benachbarten Käpelle.
Sie verstarb am 03.08.2013.
Da die Kreisgrenze durch den Ort ging, sind noch einige andere Kuriositäten vorhanden. So hatte z.B. die Gemeinde Burgau eine eigene Feuerwehr. Die Inspektion durch den Kreisbrandmeister aus Sigmaringen war für alle "Preußen" ein Fest. In dem 1 km entfernten Dürmentingen war eine motorisierte Feuerwehr, die im Brandfall sehr schnell in Burgau hätte sein können.
Durch alle Verwaltungsgebiete hindurch führte diese Teilung der Gemeinde. So musste bei einer Röntgenreihenuntersuchung das Gesundheitsamt Sigmaringen extra wegen 5 Personen nach Burgau fahren; das gleiche hätte im Fall einer Impfung oder Mütterberatung geschehen müssen, wenn sich nicht die beiden Medizinalräte der Kreise Saulgau und Sigmaringen darüber geeinigt hätten, dass der vom Kreis Saulgau die Fälle des Gesundheitsamtes auch in der "preußischen" Gemeinde übernimmt. Das galt aber nicht für den Fall einer Röntgenuntersuchung.
Das Gesundheitsamt Sigmaringen führte die letzte Röntgenreihenuntersuchung in Burgau 14 Tage vor dem Gesundheitsamt Saulgau in Dürmentingen durch. Ein Württemberger sah das Auto in Burgau stehen und da er gerade Zeit hatte, wollte er sich mit den "Preußen" röntgen lassen. Trotz seiner Beteuerungen, "er habe das Hemd schnell ausgezogen und eben so schnell wieder angezogen", musste er den Raum verlassen und warten, bis das Gesundheitsamt von Saulgau nach Dürmentingen kam und dort die Untersuchung für die "Württemberger Burgaus´s" durchführte.
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